So verlebte die kleine Maja unter den Insekten die Tage und Wochen ihres jungen Lebens. Wohl vermißte sie bei ihrem Umhertreiben, bei allen Freuden und Gefahren, in der schönen sommerlichen Welt oft die Gefährten ihrer ersten Kindheit, und zuweilen überfiel sie ein schmerzvolles Heimweh nach dem verlassenen Königreich ihres Volkes. Auch kannte sie Stunden, in denen sie sich nach einer geordneten Tätigkeit sehnte, nach nützlicher Beschäftigung und nach Gesellschaft unter ihresgleichen. Aber sie hatte im Grunde eine ruhlose Natur, die kleine Maja, und sie würde sich wohl kaum schon dauernd in der Gemeinschaft der Bienen wohlgefühlt haben. Bei allen Tieren, wie auch unter den Menschen, kommt es vor, daß einzelne Charaktere sich nicht in die Gewohnheiten aller schicken können, und man muß vorsichtig sein und ernstlich prüfen, bevor man solch ein Wesen verurteilt. Denn es ist keineswegs immer nur Trägheit oder Eigensinn, sondern häufig verbirgt sich hinter solchem Drang eine tiefe Sehnsucht nach Höherem oder Besserem, als der Alltag zu bieten vermag, und aus jungen Durchgängern sind oft erfahrene und kluge Männer geworden oder verständige und gütige Frauen. Und die kleine Maja hatte im Grunde ein reines und empfängliches Herz, und ihre Stellung zur schönen weiten Welt, in der sie zum Leben erwacht war, war getragen von aufrichtiger Wißbegier und großer Freude an den Herrlichkeiten der Schöpfung.

Aber selbst im Glück schöner Erlebnisse ist das Alleinsein schwer, und je erfahrener die kleine Maja wurde, um so häufiger sehnte sie sich nach Gemeinschaft und Liebe. Sie war nun keine ganz junge Biene mehr, sondern ein prächtiges, starkes Bienentier, begabt mit blanken, gesunden Flügeln, einem spitzen und gefährlichen Stachel und einem ausgebildeten Sinn für die Gefahren und Freuden ihres Lebens. Sie hatte Erfahrungen gemacht und Kenntnisse gesammelt und wünschte sich nun oft, sie auf rechte Art verwenden zu können. Vielleicht wäre sie eines Tages in den Stock zurückgekehrt, hätte sich der Königin zu Füßen geworfen und ihre Verzeihung erfleht, um wieder in Ehren aufgenommen zu werden. Aber ein brennendes Verlangen hielt sie davon zurück: sie wünschte sich, den Menschen kennenzulernen. Sie hatte so viel Widersprechendes über die Menschen gehört, daß sie eher verwirrter als klüger geworden war, und doch ahnte sie, daß es in der ganzen Schöpfung nichts Mächtigeres, Klügeres und Erhabeneres als den Menschen gäbe.

Aus hoher Luft, aus weiter Entfernung hatte sie auf ihren Irrfahrten wohl zuweilen Menschen gesehen, schwarze, weiße und rote, auch solche, die vielfarbig und bunt bekleidet waren, kleine und große. Aber sie hatte sich niemals in die Nähe getraut. Einmal sah sie es rot am Bach schimmern, und da sie den Schein der Farbe für ein Blumenbeet hielt, war sie hinzugeflogen. Da fand sie einen Menschen mit goldenen Haaren und rosigem Angesicht. Er schlief in einem roten Kleid in den Blumen am Bach und sah trotz seiner furchtbaren Größe so gut und lieblich aus, daß ihr vor Entzücken Tränen in die Augen traten. Sie hatte alles um sich her vergessen und nur immer den schlummernden Menschen betrachten müssen. Was sie jemals an Bösem darüber gehört hatte, erschien ihr unmöglich, es war ihr, als müßte alles Schlechte Lüge gewesen sein, was man ihr jemals über solch liebliche Wesen berichtet hatte, wie dort eines im Schatten der flüsternden Birken schlief.

Später kam eine Mücke zu ihr und grüßte.

„Mein Gott,“ rief Maja, ganz heiß vor Erregung und Freude, „sehen Sie dort den Menschen, wie schön, wie gut. Begeistert es Sie nicht?“

Die Mücke sah erst Maja sehr erstaunt an und drehte sich dann langsam nach dem Gegenstand ihrer Bewunderung um:

„Ja,“ sagte sie, „er ist gut, gewiß, ich habe ihn eben angebohrt. Schauen Sie, mein Leib schimmert rot von seinem Blut.“

Maja mußte ihrem Herzen mit der Hand zur Hilfe kommen, so sehr erschrak sie über die Kühnheit der Mücke.

„Wird er sterben?“ rief sie. „Wo haben Sie ihn verletzt? Wie können Sie nur den erforderlichen Mut und zugleich eine so unwürdige Gesinnung aufbringen? Sie sind ja ein Raubtier!“

Die Mücke lachte und antwortete mit ihrem hohen hellen Stimmchen sichtlich amüsiert:

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.