„Dies ist doch nur ein ganz kleiner Mensch. Diese Größe wird Mädchen genannt, sobald die Beine bis zur Hälfte von einem abstehenden farbigen Panzer bedeckt sind. Ich kann natürlich hindurchstechen, aber in der Regel erreicht man die Haut nicht. — Sie haben ja eine ganz fabelhafte Unkenntnis, glauben Sie denn, die Menschen seien gut? Ich habe niemals einen gefunden, der mir freiwillig auch nur das kleinste Tröpfchen Blut gegönnt hätte.“
„Vom Menschen weiß ich allerdings noch nicht sehr viel“, sagte Maja kleinlaut.
„Aber Sie geben sich doch von allen Insekten am meisten mit den Menschen ab, Sie lassen sich am weitesten mit ihnen ein, das ist doch bekannt.“
„Ich habe das Königreich verlassen“, gestand Maja schüchtern. „Es gefiel mir nicht, ich wollte die Welt kennenlernen.“
„I, da sieh einer an“, sagte die Mücke und trat einen Schritt näher. „Wie bekommt Ihnen denn Ihr Umhertreiben? Ich muß sagen, daß es mir gefällt, Sie so unabhängig zu sehen. Ich für mein Teil würde mich niemals entschließen, den Menschen zu dienen.“
„Sie dienen auch uns“, sagte Maja, die es nicht ertragen konnte, daß man ihr Volk herabsetzte.
„Mag sein,“ antwortete die Mücke, „zu welchem Volk gehören Sie?“
„Ich stamme vom Volk der Bienen im Schloßpark. Die regierende Königin ist Helene die Achte.“
„So, so,“ machte die Mücke und verbeugte sich, „das ist eine beneidenswerte Abstammung. Alle Achtung. Sie hatten kürzlich Revolution, nicht wahr? Ich hörte das durch die Kundschafter des Schwarms, der ausgebrochen war. Habe ich recht?“
„Ja“, sagte Maja stolz. Es erfüllte sie mit Genugtuung und Freude, daß die Ihren so hohes Ansehen genossen und weit bekannt waren. Tief im Herzen wachte wieder das Heimweh nach ihrem Volke auf, sie wünschte sich, etwas Großes und Gutes für ihre Königin und zum Wohl ihres Staates tun zu können. Darüber vergaß sie nach dem Menschen zu fragen. Vielleicht fragte sie auch deshalb nicht mehr, weil sie von der Mücke nichts Gutes zu hören hoffte. Sie empfand die Kleine als frech und naseweis, und solche Leute wissen gewöhnlich über andere nur Schlechtes zu sagen.
Die Mücke war damals auch bald weitergeflogen.
„Ich nehme noch einen Schluck“, hatte sie gerufen. „Später werde ich mit den Gefährten in der Abendsonne fliegen, damit wir morgen gutes Wetter bekommen.“
Maja hatte sich davongemacht, weil es ihr unmöglich war, mit anzusehen, wie die Mücke dem schlafenden Kind Böses zufügte. Sie wunderte sich, daß die Mücke nicht daran zugrunde ging. Kassandra hatte ihr gesagt. „Wenn du einen Menschen stichst, mußt du sterben.“
Maja erinnerte sich dieses Vorfalls noch sehr genau, aber ihr Verlangen danach, vom Menschen soviel als möglich kennenzulernen, war keinesfalls befriedigt, sie beschloß, kühner zu werden und keine Anstrengungen zu scheuen, um zu ihrem Ziel zu gelangen.
Diese Wünsche Majas sollten sich auf wunderbare Art erfüllen und viel schöner, als sie es erwartet hatte. Die kleine Biene war an einem warmen Sommerabend früher als gewöhnlich zur Ruhe gegangen, und plötzlich erwachte sie mitten in der Nacht, das war ihr noch niemals geschehen. Ihr Erstaunen war unbeschreiblich, als sie die Augen öffnete und ihren kleinen Schlafraum über und über in ein stilles blaues Licht getaucht sah. Es sank vom Eingang nieder, dessen Öffnung wie unter einem silberblauen Vorhang strahlte. Sie wagte sich anfangs kaum zu rühren, aber sie fürchtete sich nicht, denn mit diesem Schein kam ein seltsam schöner Friede zu ihr hineingezogen. Und es klang etwas draußen in der Luft, was sie so fein und so voller Harmonie noch niemals vernommen hatte. Endlich trat sie schüchtern und ganz benommen vom Glanz dieser ungewöhnlichen Stunde an den Ausgang ihrer Baumhöhle und sah hinaus. Ihr war, als sei die ganze Welt