Aber die Verzweiflung der kleinen Biene machte bald einer entschlossenen Besinnung Platz. Es war, als erinnerte sie sich wieder daran, daß sie eine Biene war. Hier sitze ich nun und weine und klage, dachte sie plötzlich, als ob ich nicht Gedanken und Kräfte hätte. O, ich mache meinem bedrohten Volk und meiner Königin wenig Ehre. Sterben muß ich doch, da will ich es wenigstens stolz und mutig tun und nichts unversucht lassen, die Meinen zu retten.
Es war, als vergäße sie ganz die lange Zeit der Trennung von den Ihren und der Heimat, sie fühlte sich ihnen zugehöriger als je, und die große Verantwortung, die plötzlich auf ihr ruhte, weil sie den Plan der Hornissen kannte, verlieh ihr große Entschlossenheit und viel Mut.
Müssen die Meinen unterliegen und sterben, so will ich es auch, dachte sie, aber vorher will ich nichts ungetan lassen, sie zu retten.
„Es lebe meine Königin!“ rief sie.
„Ruhe da drinnen!“ scholl es barsch von außen.
Hu, war das eine fürchterliche Stimme. Es mußte der Wächter gewesen sein, der die Runde machte. Offenbar war es längst Nacht.
Als der Schritt draußen verhallt war, begann Maja sogleich damit, den Spalt zu erweitern, der in den Saal führte. Es gelang ihr leicht, die mürbe Wand zu zerbeißen, wenn sie auch lange Zeit brauchte, bevor die Öffnung groß genug war. Endlich konnte sie sich hindurchzwängen. Sie tat es vorsichtig und mit pochendem Herzen, sie wußte, daß es ihr Leben kosten würde, wenn man sie entdeckte. Aus unbekannten Gründen der Burg scholl ein tiefes Schnarchen.
Der Saal lag in gedämpftem blauen Licht, das vom Eingang hineinsank. Das ist Licht vom Mond, wußte Maja und schritt vorsichtig dahin, wobei sie sich stets in den tiefen Schatten an den Wänden hielt. Vom Saal führte ein schmaler hoher Flur zum Ausgang, von dort kam das Himmelslicht der Nacht. Maja seufzte tief auf, sie sah ganz fern in unendlicher Weite einen Stern am Himmel schimmern. Ach Freiheit, dachte sie.
Der Gang war ganz hell. Leise, Schritt für Schritt, schlich sie voran, das Tor kam immer näher. Wenn ich jetzt auffliege, dachte sie, so bin ich draußen. Ihr Herz schlug in der Brust, als ob es sie zersprengen wollte.
Da sah sie im Schatten des Tores an einer Säule den Wächter lehnen.
Wie angewurzelt blieb sie stehen, alle ihre Hoffnung sank dahin. Dort war kein Vorüberkommen. Was sollte sie tun? Das Beste wird sein, ich kehre um, dachte sie, aber der Anblick des Riesen am Tor hielt sie im Bann. Es schien, als schaute er ganz in Gedanken versunken in die beleuchtete Nachtlandschaft hinaus. Er hatte sein Kinn in die Hand gestützt, und sein Kopf war ein wenig geneigt. Wie der goldene Panzer im Mond glänzte! In seiner Haltung war etwas, das die kleine Maja bewegte. Er sieht so traurig aus, dachte sie, wie schön er ist, wie edel ist seine Haltung und wie stolz funkelt seine Rüstung. Tag und Nacht legt er sie nicht ab, er ist immer bereit zu rauben, zu kämpfen und zu sterben ...
Die kleine Maja vergaß ganz, daß es ihr Feind war, den sie vor sich sah. Ach, wie oft war es ihr so gegangen, daß ihr Herz und seine Freude am Schönen sie alle Gefahr vergessen ließ.
Da schoß ein goldener Lichtblitz vom Helm des Räubers, er mußte den Kopf bewegt haben.
„Lieber Gott,“ flüsterte die kleine Maja, „jetzt ist es aus.“
Da sagte der Wächter ganz ruhig:
„Komm nur näher, Kleine.“
„Was?“ rief Maja, „wie? Sie haben mich gesehen?“
„Doch, Kind, schon lange. Du hast ein Loch in die Wand gebissen, und hast dich dann, immer hübsch im Schatten, bis hierher bewegt. Dann hast du mich gesehen und mit deinem Mut war es zu Ende. Ist es so?“