Und Iffi war plötzlich mit einem Ruck in ihrer Höhle verschwunden, so rasch, daß es erschien, als habe ein Windstoß sie davongerissen. Maja hatte nicht für möglich gehalten, daß jemand so rasch in einem Loch verschwinden könnte. Jetzt war Iffi fort, und der Käfer starrte mit verblüfftem Gesicht in die leere dunkle Öffnung und sah so dumm dabei aus, daß Maja lachen mußte.
Endlich besann er sich und begann betrübt und zornig seinen kleinen rundlichen Kopf zu schütteln, und die Fühler hingen traurig nieder, wie zwei verregnete Fächer.
„Für Charakter und gediegene Lebensführung hat heute niemand mehr Sinn“, seufzte er. „Iffi ist herzlos, ich habe nicht gewagt, es mir einzugestehn, aber es ist der Fall. Aber wenn sie in der Tat nicht das Herz hat, meine Freundin zu sein, so sollte sie wenigstens den Verstand dazu haben.“
Maja sah, wie Tränen in seine Augen traten, und ihr Herz wurde von Mitleid ergriffen.
Aber plötzlich kam Bewegung in Kurt. Er wischte die Tränen aus den Augen und trat vorsichtig hinter einen Erdhaufen, den seine Freundin wahrscheinlich aus ihrer Wohnung geschaufelt hatte, und Maja sah einen kleinen rötlichen Regenwurm durch die Gräser kommen. Er hatte eine sehr ungewöhnliche Art der Fortbewegung, bald machte er sich lang und dünn, dann wieder kurz und dick, und seine rote Körperspitze bestand aus lauter zarten Ringen, die sich lautlos verschoben und vorantasteten. Sie erschrak sehr, als Kurt plötzlich einen Schritt aus seinem Versteck hervor machte, den Wurm ergriff und ihn in zwei Hälften zerbiß. Er begann gelassen die eine Hälfte zu verzehren und kümmerte sich wenig um die verzweifelten Windungen, die die beiden Wurmhälften am Boden und in seinen Armen ausführten. Es war ein ganz kleiner Wurm.
„Nur Geduld,“ sagte Kurt, „gleich ist es vorüber.“
Aber während er kaute, schien er wieder an Iffi zu denken, die er für alle Zeit verloren hatte, und große Tränen rollten über seine Backen.
Die kleine Maja in ihrem Versteck bedauerte ihn herzlich. Es gibt doch sehr viel Trauriges in der Welt, dachte sie. Da sah sie, daß die eine Wurmhälfte, die Kurt in seiner Bekümmernis zur Seite gelegt hatte, sich eilig entfernte.
„Nein, so was!“ rief sie, und sie tat es vor Schrecken so laut, daß Kurt sich verwundert umschaute.
„Machen Sie Platz!“ rief er, als er es hörte.
„Aber ich sitze Ihnen ja gar nicht im Weg“, antwortete Maja.
„Wo sitzen Sie denn?“ fragte er, „Sie müssen doch irgendwo sitzen.“
„Hier oben,“ rief Maja, „über Ihnen in der Blume.“
„Ich will es Ihnen glauben,“ sagte Kurt, „aber ich bin kein Grashüpfer, ich kann mich unmöglich so weit nach oben umdrehn, daß ich Sie sehe. Weshalb haben Sie denn geschrien?“
„Die eine Hälfte vom Wurm läuft fort“, rief Maja.
„Ja, ja,“ sagte Kurt und sah dem halben Würmchen nach, „diese Tiere sind sehr regsam. Ich habe keinen Appetit mehr.“ Damit warf er den Rest des Wurms fort, den er noch in seinen Händen gehalten hatte, und dieser übriggebliebene Teil entfernte sich nach der andern Seite.
Maja wurde ganz verwirrt, aber Kurt schien mit dieser Eigenart des Wurms vertraut zu sein.
„Sie müssen nicht denken, daß ich immer Wurm esse,“ sagte er, „aber es finden sich nicht überall Rosen.“
„Sagen Sie doch wenigstens dem Kleinen, wo seine andere Hälfte hingelaufen ist“, antwortete Maja in großer Erregung.
Kurt schüttelte ernst den Kopf. „Was das Schicksal trennt, soll man nicht wieder zusammenfügen“, meinte er. „Wer sind Sie?“