Die Gefangenschaft bei der Spinne hatte der kleinen Maja doch zu denken gegeben. Sie beschloß vorsichtiger zu werden, und sich künftig nicht mehr allzu rasch einzulassen. Wenn Kassandra sie auch über die größten Gefahren, die den Bienen drohen, unterrichtet hatte, so war doch die Welt zu groß, und es gab zu vielerlei Möglichkeiten, als daß man nicht allen Grund gehabt hätte, nachdenklich zu werden. Besonders des Abends, wenn die Dämmerung über das Land niedersank, kamen der kleinen Biene mancherlei Erwägungen in ihrer Einsamkeit; schien aber am andern Morgen die Sonne, so vergaß sie für gewöhnlich die Hälfte ihrer Besorgnisse und ließ sich durch ihr Verlangen nach Erlebnissen aufs neue in den bunten Lebensstrudel hinaustreiben.
Eines Tages begegnete ihr in einem Himbeergebüsch ein merkwürdiges Tier. Es war eckig und seltsam platt, hatte aber eine hübsche Zeichnung auf seinem Rückenschild, von dem man nicht recht sagen konnte, ob es Flügel waren oder nicht. Das seltsame kleine Ungeheuer saß ganz still mit halbgeschlossenen Augen auf einem Blatt im Schatten im Duft der Himbeeren und schien nachzudenken.
Maja wollte wissen, was das für ein Tier war. Sie flog ganz in die Nähe, setzte sich auf ein benachbartes Blatt und grüßte. Die Fremde antwortete nicht.
„Sie!“ sagte Maja und stieß das Blatt der Fremden an, so daß es etwas wackelte. Da öffnete das platte Geschöpf langsam ein Auge, schaute Maja damit an und sagte:
„Eine Biene. Nun ja, es gibt viele Bienen.“ Und dann machte es sein Auge wieder zu.
Wie eigenartig, dachte die kleine Maja, aber sie beschloß doch, hinter das Geheimnis der Fremden zu kommen. Nun war sie ihr erst recht interessant geworden, wie Leute es oft werden, die nichts von uns wissen wollen. Maja versuchte es mit etwas Honig. „Ich habe reichlich,“ sagte sie, „wenn ich Ihnen vielleicht etwas anbieten darf?“
Die Fremde machte ihr Auge wieder auf und schaute Maja eine Weile sinnend an. Was wird sie diesmal sagen, dachte die Biene. Aber es kam keine Antwort, nur das Auge schloß sich wieder, und die Fremde blieb still sitzen, ganz fest an das Blatt geschmiegt, so daß man nichts von ihren Beinen sah und fast glauben konnte, es hätte sie jemand mit dem Daumen so fest an das Blatt gepreßt, daß sie darüber platt geworden war.
Maja merkte nun wohl, daß die Fremde nichts von ihr wissen wollte, aber wie es einem so geht, man möchte nicht gern so unhöflich verabschiedet werden, am wenigsten ohne zu seinem Ziel gelangt zu sein. Das wäre ja gradezu eine Blamage gewesen, und die erlebt niemand gern.
„Wer immer Sie sein mögen,“ rief Maja, „merken Sie sich, daß man in der Insektenwelt einen Gruß zu erwidern pflegt, ganz besonders aber dann, wenn er von einer Biene geboten wird.“
Es blieb ganz still, und nichts rührte sich. Die Fremde machte ihr Auge nicht mehr auf.
Dies Tier ist krank, dachte sich Maja. Wie unangenehm, an einem so schönen Tage krank zu sein, darum sitzt es auch im Schatten. Sie flog auf das Blatt der Fremden und setzte sich neben sie.
„Meine Liebe,“ fragte sie freundlich, „was fehlt Ihnen?“
Da begann das fremde Tier sich fortzubewegen, auf ganz absonderliche Art, als ob es von einer unsichtbaren Hand geschoben würde. Es hat keine Beine, dachte Maja, deshalb ist es so verstimmt. Am Stiel des Blattes machte es halt, und nun sah Maja zu ihrer Verwunderung, daß es einen kleinen braunen Tropfen zurückgelassen hatte. Wie apart, dachte sie, aber da verbreitete sich plötzlich ein furchtbarer Geruch in der Luft, der von diesem braunen Tropfen ausging. Die Biene wurde beinahe betäubt, so eindringlich und widerwärtig war dieser Geruch, und so rasch sie konnte, flog sie empor und setzte sich auf eine Himbeere, hielt sich die Nase zu und schüttelte sich vor Aufregung und Entsetzen.
„Ja, warum lassen Sie sich mit einer Wanze ein,“ sagte jemand über ihr und lachte.
„Lachen Sie nicht!“ rief Maja.